Isabelle Huppert - Zum Geburtstag der weltbesten Schauspielerin

16.03.2018 - 18:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Isabelle Huppert in Alles, was kommt
Weltkino
Isabelle Huppert in Alles, was kommt
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Schauspielerei ist kein Wettkampf, doch Isabelle Huppert bleibt unerreicht. Heute wird sie 65 Jahre alt, und wir blicken zurück auf die Rollen dieser Autorin im Kino.

Zunächst hören wir das Keuchen. Als sich in Elle Bild zu Ton gesellt, ist die Tat vollendet. Eine schwarz-graue Katze beobachtet das Geschehen. Die Scherben liegen auf dem Parkett, die Frau rappelt sich auf. Ihr Gesichtsausdruck bleibt undurchdringlich wie der ihres Haustieres. Das Rinnsal Blut an ihrem Oberschenkel wird sie wenig später in ihrer Badewanne auflösen, bis der Schaum weiß glänzt. Die Essenz einer Isabelle Huppert-Darbietung scheint hier festgehalten zu werden, wenn ein solch traumatisierendes Erlebnis sich im Spiel in einer kaum weniger traumatisierenden Ungerührtheit wiederspiegelt. "Scheint", weil Huppert im Verlauf von Elle und ihren bisher rund 100 Filmen solche Vereinfachungen verlässlich Lügen straft. Mit jeder weiteren Sichtung von Elle lassen sich in diesen paar Minuten Hinweise finden, wie die Vergewaltigung Michèle in ihrem Kern tangiert, ob in der sich sammelnden Haltung oder dem nach innen gerichteten, abmessenden Blick. Das zeichnet Isabelle Huppert aus, die sich in ihren Rollen auf atemberaubende Weise in die jeweilige Filmumgebung integriert und, wenn nötig, diese als eine Art zweite Regisseurin transformiert. Begeben wir uns zum 65. Geburtstag der weltbesten Schauspielerin auf die Spuren dieser Autorin im Kino.

Wenn Schulterzucken töten könnte

Mutig, intelligent, integer - so wird das Spiel der französischen Schauspielerin beschrieben, etwa von Susan Sontag . Die schwierigen, die abstoßenden Figuren ziehen sie an, ist zu lesen, die Untiefen, in die sich Kolleginnen nicht trauen. Elle von Paul Verhoeven wurde mehreren amerikanischen Schauspielerinnen angeboten, die sich mit dem komplexen Kampf um Kontrolle über und Lust am eigenen Trauma nicht anfreunden konnten. Patrice Chéreau sagte einmal , Huppert wäre stets dazu bereit, im Spiel alles zu geben. Paul Verhoeven spricht von überraschenden Momenten der Erschöpfung nach Szenenende . Trotzdem: Hätte man noch nie einen Film mit Isabelle Huppert gesehen, würde angesichts dieser Aussagen zwischen der Vorstellung von Huppert und der Realität ihres Spiels eine wundersame Lücke klaffen. Das Klischee vom Schauspieler, der alles gibt, der ins dunkelste Seelenleben entführt, droht, sich zu verlieren in seiner Kunst - es treibt an der Oberfläche, das Spiel wirkt entsprechend überlagert und aufgebläht. Bei Huppert tun sich Abgründe in der Spanne eines Wimpernschlags auf. Sie gewährt Einblick, aber auch Deutungsfreiräume. Antrainierte Erwartungen an Filmemotionen, an Liebe, Wahnsinn, Verzweiflung prallen in ihrem Spiel ab. Einer der einnehmendsten Aspekte von Isabelle Hupperts Schauspiel ist ihre Fähigkeit zu überraschen.

Madame Hyde

In Biester von Claude Chabrol gibt sie eine manipulative Stalkerin. Deren krankhafte Fixierung macht sie auf Basis des Drehbuchs ausgerechnet im Flatterhaften aus. Unbekümmert spaziert sie durch die Landschaft, freundet sich an, hilft bei der Autopanne, begegnet Vorwürfen, fremde Briefe zu öffnen, und unbekümmert redet sie schließlich auch über den Tod ihres Kindes, alles durchaus nicht im selben Tonfall, aber einem ähnlichen. So scheint sie der Gelegenheitsbekanntschaft im Postamt genauso nah (oder fern) zu sein wie dem verstorbenen Kleinkind auf dem Boden ihrer Wohnung. Ebenso vorstellbar: Dass dies nie anders war, egal um welchen Menschen es sich handelte.

Die ultimative Huppert-Reaktion oder mindestens meine liebste: ein Millisekunden-Lächeln, kurz hochgezogene Augenbrauen, dazu ein Schulterzucken. In Elle fungiert es als eine Art Massenvernichtungswaffe einer Figur, die sich die Kontrolle über Leben, Lust und Leid nicht von den erbärmlichen Männern in ihrem Leben nehmen lässt. Dieses instinktive Zucken ist robuster als die Schutzschilde der Sternenflotte. In Madame Hyde aus dem letzten Jahr übertüncht es Hilflosigkeit. Die überforderte Physiklehrerin wird darin dank eines verunglückten Experiments des Nachts zur unfreiwilligen Rächerin. Sie schlafwandelt glühend durch die Nachbarschaft, wer sich in den Weg stellt, fängt Feuer. Auch so eine Meta-Rolle für Huppert, wie schon in 8 Frauen. Kälte wird ihren Figuren unterstellt, dabei verbergen sich in deren Innenleben Höllen, die mal aus den Augen, dem zuckenden Mundwinkel oder der leichten Neigung des Kopfs lodern. Einmal auf die Uhr geschaut und schon übersehen.

Die Klavierspielerin

Der Wahnsinn liegt in der Familie

Die Klavierspielerin ist das Paradebeispiel dafür. Doch offenbart ihr Spiel in dem Film von Michael Haneke über eine emotional repressive Professorin ein blutendes, klopfendes Herz, das sich in einem inszenatorischen Eisschrank Bahn schlägt bzw. ritzt und sticht. Der tränenreiche Ausbruch, als sie Walter (Benoît Magimel) am Klavier lauscht, rüttelt an der Fassade. Deren mühsame Aufrechterhaltung im Großteil des Films legt ebenso Deutungsansätze ihres Innenlebens frei. Man sieht, obwohl man glaubt, nichts zu sehen.

Aus Die Klavierspielerin und 8 Frauen wird schließlich Elle und 2018 Eva. Betrachten wir das nur zu 63 Prozent zufällig ausgewählte Figurencluster, dann steht am Anfang die Kristallisierung der klassischen Huppert-Rolle, gefolgt von deren Parodie per Gegensatz-Paar, nämlich in einem denkbar extrovertierten Genre, dem Chanson-Musical. In Elle spielt Huppert einmal mehr eine Tochter im Schatten der Eltern. Hier ist es der wahnsinnige Vater, und sie exerziert den Machtverlust wieder in einer Affäre durch, nur ist es ihr Vergewaltiger. Eine Domina gibt sie in Eva, der bei der Berlinale lief. Der Ehemann sitzt im Knast, einen Hochstapler treibt sie in den Wahnsinn. Auch mit dem Schulterzucken, das dem rigiden Äußeren widerspricht. Jedes Mal wenn man bei einem Huppert-Auftritt schon vor dem eisigen Hauch zusammenzuckt, glüht es unerwartet auf dem Bildschirm, vor Liebe, Lust, Wahnsinn - oder Witz.

Elle

Eine Schauspielerin als Autorin

Mit einem geschmackloseren Skript hätte aus Eva ein besserer Film werden können. Dass Isabelle Huppert mit steigenden Karrierejahren auf der Leinwand weder gelangweilt noch vorhersehbar wirkt, liegt auch an den Kollegen. Jetzt nicht unbedingt Benoît Jacquot. Stattdessen sei aus den letzten zehn Jahren Claire Denis genannt oder Paul Verhoeven oder Mia Hansen-Løve oder Hong Sang-soo oder Catherine Breillat. Dabei ist die Präsenz von Huppert als Star beinahe ebenso wichtig wie der Name neben dem Regie-Credit. Etwas, das über Meryl Streep beispielsweise nicht gesagt werden kann, deren Rollen ihre Filme(macher) in der Regel überstrahlen; bei einem Rob Marshall oder John Wells zugegeben keine große Leistung, bei einem Steven Spielberg hingegen schon.

Andererseits verschwindet Huppert äußerlich auch nicht in den Rollen, weil überhaupt schwer auszumachen ist, welche Eigenschaften "Isabelle Huppert" konstituieren. Mut, Intelligenz, Integrität mögen ihre Arbeit ausmachen, aber wir haben es hier mit einem anderen Star-Tum zu tun als bei Tom Cruise, Gérard Depardieu oder eben Meryl Streep. Es ist einem sehr wohl bewusst, wenn Isabelle Huppert auf der Leinwand auftaucht, flirtet sie nun mit einem Schwimmmeister, führt sie im besetzten Frankreich Abtreibungen durch oder schüttet sie einer Pianistin Glasscherben in die Manteltasche. Ihr Wiedererkennungswert verspricht weniger ein Star-Kino klassischer Art, er verspricht zunächst einmal, was den Film selbst ausmacht: Es ist eine kollaborative Kunstform und Isabelle Huppert ein Auteur. Huppert zuschauen bedeutet einem filmischen DNA-Transfer zuschauen, der zwischen Schauspielerin und Form vonstatten geht. Alles Weitere muss stets aufs Neue erkundet werden wie die wunderschön grausam mutierte Area X in Auslöschung (in dem Huppert leider nicht mitspielt, aber sei's drum). Jeder Film von Isabelle Huppert erhöht mindestens den Wiederentdeckungswert.

In einem fremden Land

41 Jahre nach ihrem Durchbruch in Die Spitzenklöpplerin bleibt Isabelle Huppert unfassbar. Das müssen auch jene zugeben, die ihr jahrelang das Klischee der Eiskönigin in die schauspielerischen Schuhe schieben wollten. Es ist die allzu simple Lösung für ein Rätsel, das gar nicht gelöst werden kann. Im selben Jahr wie Elle feierte Alles was kommt Premiere, der Figur und Struktur in ständiger Veränderung zeigt. Eine Lehrerin gibt sie da, deren Mann sie für eine jüngere verlässt. Innerhalb weniger Monate zerfasert ihr gut geordnetes Leben in einem sanften Chaos. Entweder zerbricht sie am Widerstand dagegen oder sie lässt sich treiben, auch in der Traurigkeit. Sie wählt letzteres. Da sitzt sie im Bus und sieht Ehemann und Geliebte. Sie gluckst in sich hinein. Überrascht von sich selbst. Und wir von ihr.

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