Gypsy - Naomi Watts verliert sich in neuer Netflix-Serie

30.06.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Naomi Watts in GypsyNetflix
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Nachdem sie in Twin Peaks zu sehen war, ringt Naomi Watts nun in Gypsy als Therapeutin mit ihrer eigenen Identität. Wir haben uns die Pilot-Episode der von Lisa Rubin kreierten Netflix-Serie für euch angeschaut und schildern unseren ersten Eindruck.

Wenngleich ihre letzte große Serienrolle schon einige Zeit zurückliegt, könnte sich für Naomi Watts in diesem Jahr einiges verändern. Erst vor ein paar Wochen lieferte sie ihr Debüt in Twin Peaks: The Return ab und kümmerte sich geduldig um den etwas verdatterten Agent Cooper, der aus dem Jenseits zurückgekehrt ist. Auch in Gypsy, der jüngsten Originalproduktion aus dem Hause Netflix, verkörpert sie eine Frau, die sich intensiv um andere Menschen kümmert. Konkret handelt es sich in diesem Fall um die Therapeutin Jean Holloway. Aufmerksam sitzt sie ihren Patienten gegenüber, lauscht deren Geschichten und macht sich gelegentlich Notizen. Es geht um Beziehungen, Abhängigkeit und die große Frage nach der eigenen Identität. Recht schnell lässt Serienschöpferin Lisa Rubin aber durchblicken, dass die Person, die sich eigentlich in der Krise befindet niemand Geringeres als Jean selbst ist.

Gleich zu Beginn stellt diese fest, dass es in jedem Menschen eine verborgene Seite gibt, die tief in seinem Inneren schlummert und nur darauf wartet, auszubrechen. Entscheidend ist dabei die Illusion von Kontrolle und Selbstbestimmung, die Jean bereits auf ihrem Arbeitsweg zu überlisten versucht. Ihr Spiegelbild verschwindet mit der ausfahrenden U-Bahn und es sieht so aus, als würde sie sich unmittelbar in zwei Personen teilen. Dementsprechend diagnostiziert Jean zum Schluss ihres einleitenden Monologs, dass jeder Mensch in Wahrheit jemand anderes ist. Die Frage ist bloß, wann und wie diese andere Seite zum Ausdruck kommt. Jean provoziert es förmlich, indem sie beim täglichen Abstecher zum Coffeeshop ihren Namen in Diana ändert und damit nicht nur sich selbst betrügt, sondern auch uns Zuschauer, die wir fortan stets verunsichert sind, mit welcher Seite der Protagonistin wir es gerade zu tun haben.

Gypsy

Mit dem - momentan allgemein sehr beliebten - Doppelgänger-Motiv dürfte Naomi Watts spätestens seit Twin Peaks: The Return bestens vertraut sein und Gypsy macht wirklich kein Geheimnis daraus, dass wir es im Verlauf der kommenden Episoden mit einer Hauptfigur zu tun bekommen, die rastlos auf der Suche nach ihrer eigenen Identität ist. Fasziniert beschreibt Jean die Macht des Unterbewusstseins und erzählt von düsteren, raren und zutiefst beschämenden Sehnsüchten, die allerdings nichts mit ihrer Wirklichkeit zu tun haben. Abseits der Gespräche mit ihren Patienten lebt Jean ein perfektes, auf gewisse Weise aber auch steriles Leben. Nicht selten erinnert Gypsy an die makellose Idylle von Big Little Lies, die vor allem in Form von stylish gekleideten Personen und mindestens genauso stylish eingerichteten Wohnungen zum Ausdruck kommt. Genauso wie die HBO-Serie lässt jedoch auch Gypsy ein Bröckeln dieser Fassade erahnen.

Der perfekte Ehemann, Michael (Billy Crudup), ist nicht das, was er scheint, und selbst die perfekte Tochter, Dolly (Maren Heary), sorgt für einen unangenehmen Zwischenfall im Klassenzimmer. Jean nimmt all diese Dinge durchaus wahr, schwebt die meiste Zeit der Pilot-Episode dennoch in einer Blase, die es ihr unmöglich macht, dem Rahmen der etablierten Familiendynamik zu entkommen. Erst, als sie Sydney (Sophie Cookson), die im anfangs erwähnten Coffeeshop arbeitet, näher kennenlernt, verfolgt sie eindeutig eine persönliche Agenda und nutzt die Gelegenheit, um den Ausbruch aus ihren gewohnten Bahnen voranzutreiben. Naomi Watts fängt dabei in ihrem Spiel sehr schön die Zerrissenheit der Protagonistin ein, die auf der einen Seite bewusst diesen Ausbruch befeuert, sich auf der anderen Seite von ihm aber auch mitreißen lässt. Es ist ein gefährliches Spiel, auf das sich Jean da einlässt.

Gypsy

Um diesen schmalen Grat der Identitätswanderung zu illustrieren, greift Regisseurin Sam Taylor-Johnson erneut auf die bewusste Inszenierung von Jeans Spiegelbild zurück und lässt die Protagonistin sprichwörtlich aus der einen Bildhälfte herauslaufen, ehe sie die Szene von der anderen Seite wieder betritt - nun jedoch als völlig neue Person. Gypsy geizt nicht an doppeldeutigen Anspielungen und lässt darüber hinaus noch vor dem Ende der ersten 60 Minuten Jeans säuberlich voneinander getrennte Welten in einer ironischen Fügung des Schicksals kollidieren. Wie sich nämlich herausstellt, ist Sydney die Ex-Freundin von Sam (Karl Glusman), einem ihrer Patienten. Dramaturgisch gelingt Lisa Rubin an dieser Stelle ein mindestens interessanter Kniff, denn so haben wir zum Schluss ganz beiläufig mehr Informationen über die einzelnen Figuren und ihre Beziehungen zueinander erfahren, als uns im Augenblick des Geschehens bewusst war.

Rückwirkend verändert sich dadurch natürlich alles, was einzelnen Momenten sowie Jeans Handlungen eine völlig neue Bedeutung verleiht. Ähnlich, wie es zuletzt die 3. Staffel von Fargo getan hat, spielt Gypsy sehr bewusst mit verschiedenen Formen von Wahrnehmung und wie diese Wahrnehmung unter verschiedenen Voraussetzungen korrigiert bzw. angepasst wird. So stellt sich heraus, dass die erfahrene Therapeutin, die als professionelle Fachkraft in ihrem Gebiet vorgestellt wird, später selbst zu Medikamenten greift und sich wagemutig von ihren unterbewussten Instinkten treiben lässt. Ehe sich Jean versieht, hat sie sich selbst eine zweite Identität geschaffen, die bewusst Regeln bricht und die Menschen um sich herum manipuliert. Doch wohin führt diese Geschichte noch in den nächsten neun Episoden? Und welchen größeren Rahmen findet die Serie? Vorerst müssen wir uns mit ein paar wenigen Bezugspunkten zufriedengeben.

Die 1. Staffel von Gypsy ist ab heute, dem 09.06.2017, auf Netflix verfügbar.

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