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Ein Interview mit Pedro Rivero

15.05.2017 - 21:53 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Pedro Rivero
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Im Rahmen des ITFS habe ich Pedro Rivero, Regisseur von "Psychonauts" getroffen und interviewt. Im folgenden findet sich der Text, das Kürzel "PS" steht dabei für mich, das Kürzel "PR" für Pedro Rivero. Im Interview geht es unter anderem um seinen Film "Psychonauts", die wichtigsten Filme überhaupt und einiges mehr. Achtung: der Text enthält Spoiler zu "Psychonauts".

PS: Als erstes wollte ich ihnen gerne mitteilen, dass Psychonauts großartig war. Ich habe den Film sehr genossen, obwohl er sehr düster war, aber er war trotzdem sehr großartig. Und ich wollte fragen, wie hart es ist, an seinem Film zu arbeiten. Ist es hart, Leute zu finden, die an so einem Thema arbeiten wollen?

PR: Okay,es hat mit der Graphic Novel angefangen. Sie wissen, dass der Film auf einer Graphic Novel basiert. Wir haben uns erst dazu entschieden, einen Kurzfilm zu machen. Wir dachten, dass es schwierig wäre, Fans für diese Art Film zu bekommen, aber letzten Endes haben wir das Geld bekommen. Letztlich war der Kurzfilm sehr erfolgreich, wir haben den Goya für den besten spanischen Kurzfilm gewonnen, der Film wurde für viele Festivals ausgewählt, er hat 45 Auszeichnungen gewonnen, und dank ihm haben wir einige Produzenten gefunden, die an der Entwicklung des Langfilms interessiert waren. Aber es war nicht einfach, denn das einzige Geld für diese Sorte Film kommt von Öffentlichen Einrichtungen und dem öffentlichen Fernsehen. Es gibt kein Geschäft für einen Produzenten. Deren einziges Ziel ist, dass Geld nicht zu verschwenden. Ein kleines Beispiel: Die beiden Hauptproduzenten kamen erst hinzu, als die Produktion beinahe beendet war. Der Film hatte nur ein Budget von eine Millionen Euros. Es sehr wenig, besonders wenn man es mit einigen Filmen aus Frankreich oder Deutschland vergleicht. Aber in Spanien war das alles Geld, dass wir kriegen konnten. Ein kleines Budget bedeutet auch ein kleines Team. Dank des Langfilms den ich zuvor gedreht hatte kannte ich einige Leute, zwei von denen arbeiteten auch an Birdboy, und die waren auch am Langfilm beteiligt. Wir hatten großes Glück mit dem Team, einige hörten auf ihrem Hauptberuf nachzugehen, nur um am Film arbeiten zu können. Insgesamt waren wir 13 oder 14 Leute, die an allem gearbeitet haben, was man auf der Leinwand sieht, an allen Animationen und Hintergründen. Letzten Endes wurde der Film durch die Leute möglich gemacht, die Begeisterung für diesen Wahnsinn zeigten.

PS: Wie fühlt sich bei der Arbeit an einem so düsteren Stoff?

PR: Die Graphic Novel hat eine sehr schöne Erzählweise. Sie ist in Schwarz/Weiß, es gibt da keine Farben. Die Idee war, dass es einige Charaktere gab, die wie freundliche Tiere aus animierten Serien oder Märchen wirkten und diese in unsere Geschichte zu stecken. Wir dachten, dass es im Film besser wäre, Farben zu benutzen, um diese Idee zu vermitteln. Ich muss sagen, dass der Comic depressiver als der Film war. Es gibt kein Licht, keine Hoffnung im Comic. Wir dachten direkt zu Beginn, dass es für einen Film wichtig wäre, dem Publikum ein bisschen Hoffnung zu geben. Wir haben den Background des Haupcharakters Birdboy zum positiven verändert. Im Comic ist er nur ein Junkie. Er nimmt Drogen und nichts anderes.

PS: Also haben sie den Charakter verändert?

PR: Nein, es ist der gleiche Charakter, aber er tut mehr, er kümmert sich um die Natur.

PS: Ja, im Film tut er etwas gutes, aber von dem was sie über den Comic sagen, ist er dort ja nicht viel mehr als ein Junkie. Und zumindest nach meinem Verständnis nimmt er im Film die Drogen ja auch nur, um das schlechte in sich zu kontrollieren.

PR: Ja, wahrscheinlich. Das Publikum soll entscheinden, ich bin nicht sicher, was die Erklärung für den Dämon in Birdboy ist. Wir dachten, dass es interessant wäre, an der Idee, dass alle schlechten Dinge die einem im Leben passieren, eine Marke hinterlassen, zu arbeiten. Wir wollten diese Idee mit Birdboy entwickeln. Er muss sich seinen inneren Dämonen stellen, dem Tod seines Vaters und solchen Dingen. All diese Dinge waren auch im Comic, nur nicht so entwickelt wie im Film.

PS: Also ist der Film keine Adaption, die dem Comic zu 100% treu ist?

PR: Nein, es ist keine 100 prozentige Umsetzung, aber die Grundthemen sind die selben. Wir haben einiges stärker herausgearbeitet und uns mehr auf die Stories anderer Charaktere konzentriert, denn wenn wir den Comic 100% genau adaptiert hätten, wäre der Film nur etwa 40 Minuten lang gewesen. Es war schön diese Dinge und Charaktere mehr zu entwickeln. Im Comic gab es allerdings mehr Flashbacks, die die Geschichte zwischen Birdboy und Dinkie entwickelten, aber wir dachten, dass das in einen Film nicht passen würden. Wir haben einige Erinnerungen von Birdboy übernommen, aber nicht mehr. Aber wenn man Flashbacks zu häufig nutzt, wird der Fluß der Geschichte einfach unterbrochen.

PS: Gab es dann neben dem Comic noch andere Einflüsse bei der Produktion des Films?

PR: Die Optik ist zu großen Teilen von der des Comics inspiriert, aber es sind auch Einflüsse von allen möglichen anderen Künstlern hineingeflossen. Für die Story, oder die Art wie sie erzählt wird, waren die Filme David Lynchs eine große Inspiration, ich habe auch einige Elemente aus dem deutschen Expressionismus einfließen lassen, die Schatten und die Dämonen zum Beispiel.

PS: Okay. Eine Frage zum Charakter Birdboy. Was ist sein Platz in der Welt, in der er lebt?

PR: Es ist mit ihm, wie mit einem Süchtigen, den man auf der Straße sieht. Man entschließt sich, wegzurennen und nicht dazu, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Idee ist, dass der Charakter sehr isoliert ist. Er ist ein Gefanger seiner Sucht und Dämonen. Wir hatten die Hoffnung oder Erwartung, dass Birdboy sich rechtzeitig verändert und mit Dinkie die Insel verlässt. Das ist die Hauptstory in unseren Leben. Können wir wirklich erkennen, was die richtigen Entscheidungen sind? Das ist Birdboys Konflikt im Film.

PS: Würden sie sagen, dass Birdboy mehr Held oder Antiheld ist?

PR: I weiß nicht, ob wir diese Worte nutzen können. Er ist einer der Haupcharaktere. In einem Moment ist er ein Antiheld, der sein Verhalten ändert, um ein Held zu werden. Wenn wir so über den Film reden wollen, ist eine typische Geschichte darüber, sich selbst zu bessern um die Welt zu retten.

PS: Eine Frage zu Dinkies Familie. War die neue Vaterfigur tatsächlich ihr realer Vater?

PR: Nein, es ist die Geschichte ihres Stiefvaters. Die geschichte geht um schwierige Jahre, in denen man seine Familie und die Welt hasst und von der Welt fliehen will. Die Zerstörung der Welt ist eine Metapher für das Erwachen aus der Kindheit in die echte Welt. „Mein Vater ist ein verdammter Idiot, ich hasse meine Freunde, es gibt nichts großartiges in der Welt.“ Die Familie im Film redet darüber, dass das einzige, was sie wollen, eine normale Familie wäre. Aber wir wissen, dass es so etwas wie eine normale Familie nicht gibt. In jeder Familie gibt es Probleme. Das sollte diese verstörende Version der Familie zeigen.

PS: Okay, lassen Sie uns noch mal über Birdboy sprechen. Warum muss er am Ende des Films sterben?

PR: Es ist das gleiche in der Graphic Novel. Die hat allerdings nicht den Epilog mit den Glühwürmchen. Wir wollten Birdboys Ende nicht verändern. Wir redeten darüber, dass es manchmal zu spät dafür ist, sein Leben zum guten zu verändern. Als wird das Drehbuch schrieben und über das Ende redeten sprachen wir über das Ende von Coppolas „Rumblefish“. Der Biker stirbt am Ende, aber sein Bruder führt sein Erbe fort. Wir dachten, dass das wichtigste Ding in der Geschichte war, dass Birdboy etwas für Dinkie hinterlässt. Vielleicht wird die Natur der Insel dank Birdboys Taten wieder hergestellt.

PS: Der Kurzfilm „Birdboy“ ist ja ein Pitch für den Langfilm. Kann man ihn auch als Vorgeschichte zu diesem betrachten?

PR: Wir dachten nicht so, als wir den Kurzfilm machten. Aber letzten Endes kann man ihn schon als Prequel betrachten. Wir brauchten einen ersten Zugang zu den Charakteren. Wir wollten nicht die ganze Geschichte der Graphic Novel in den Kurzfilm stecken. Deshalb war es nur eine Präsentation der Charaktere. Man konnte ihren Schmerz fühlen. Man sieht Birdboy als schönen Vogel. Dann wird er dunkel, man sieht ihn Kokain nehmen. Dinkie verliert ihren Vater. Es ist die Geschichte von zwei gebrochenen Leuten, die aufeinander treffen und zueinander passen. Wir dachten, dass das genug wäre. Der letzte Satz des Films ist, als Dinkie Birdboy fragt, ob er sie von der Insel tragen würde, wenn er lerne, zu fliegen. Birdboy antwortet nicht darauf. Und das ist sehr erhlich, weil er es nicht weiß. Wir dachten, dass man nicht wissen kann, ob man das richtige Ding tut.

PS: Mir ist aufgefallen, dass Birdboys Augen sehr groß, aber leer sind. War das eine bewusste Entscheidung um die Leere in ihm zu verdeutlichen?

PR: Ja, dass war ein Symbol für seine innere Leere. Es ist dasselbe mit Abhängigen. Manchmal kann man in deren Augen sehen und sie sind leer.

PS: Kennen Sie „Nosferatu“? Das Schattenspiel ihres Films erinnerte mich stark daran.

PR: Natürlich. Dieser Film ist Teil der kulturellen Erziehung.

PS: Warum entschieden sie sich dazu, einen Animationsfilm zu machen?

PR: In diesem Fall dachte ich, dass man die Story nicht in Live Action adaptieren kann. Die Charaktere, die Symbole funktionieren animiert, aber nicht in Live Action. Es wäre seltsam, fotorealistische CGI Tiere zu sehen. Es ist eine letzten Endes eine Fabel und dafür war Animation am besten geeignet.

PS: Können sie sich vorstellen, den Film fortzusetzen? Immerhin gibt es einige Storylines, die weiterfortgeführt werden könnten.

PR: Wir denken nicht, dass es möglich ist, den Film fortzusetzen. Wir finden den Weg, wie wir die Storylines beenden, gut. Ich denke, dass es eine Geschichte über Teenager in schwierigen Momenten in ihren Leben ist. Es wäre nicht interessant zu wissen, was die nächste Station in ihren Leben ist.

PS: Ich habe gelesen, dass sie ihre Karriere als Drehbuchautor starteten. Was war der Moment, an dem sie entschieden, dass sie ein Regisseur sein wollen?

PR: Wahrscheinlich einige Jahre nachdem ich in Spanien für einige Fernsehserien gearbeitet hatte. Ich hatte das Gefühl, dass Produzenten die Arbeit der Autoren nicht respektierten. Ich dachte, dass ich alleine Filme konzipieren, drehen und produzieren selte. Es war für mich eine Frage der Selbstachtung. Ich traf die Entscheidung im selben Jahr als mein Sohn geboren wurde. Ich dachte, dass ich meinem Sohn klar machen muss, dass meine Arbeit kein verdammter Dreck ist. Und wenn sie das ist, dann ist es mein verdammter Dreck und nicht der von Produzenten.

PS: Ich las, dass sie an einem Film als Kameramann arbeiteten...

PR: Nein, dass ist nicht wahr. Das ist ein Fehler auf imdb.

PS: Würden sie gerne einen Live Action Film drehen?

PR: Im Moment habe ich kein interesse daran. Ich arbeite an einigen Projekten, die vielleicht als Live Action Filme entwickelt werden. Ich arbeite an einigen Scripts für Live Action, habe aktuell allerdings keine Intention diese zu drehen. Aber wer weiß.

PS: Können Sie sich vorstellen, einen Superhelden Comic für die große Leinwand zu adaptieren?

PR: Ja, warum nicht? Wenn die Story gut ist, wäre es möglich. Ich mag Superhelden, seit ich ein Kind war. Ich liebe Spider-Man und Watchmen, ich mag den Charakter Rorschach. Ich mag es, wie Frank Miller an Batman und Daredevil arbeitete. Ich mag diese Art von Story.

PS: Welche Ratschläge würden sie einem jungen Regisseur geben, der am Anfang seiner Karriere steht und ein guter Filmemacher werden möchte?

PR: Kurosawa sagte, dass man alle wichtigen Romane lesen muss. Man muss so viele Interviews lesen wie möglich. Man muss alle Filme analysieren, die man sieht. Für mich war es wichtig, alle Filme von Chaplin, Orson Wells, Bergman, Tarkowsky, Kurosawa und Lynch gesehen zu haben, die Filme dieser großen Meister. Man muss erkennen, warum sie ihren Film so gemacht haben, wie sie ihn gemacht haben. Das ist die beste Schule.

PS: Was ist das wichtigste Element für einen guten Film?

PR: Es gibt einige Filme, die nur wegen der Ästhehtik gut sind, andere sind wegen der Charaktere oder wegen der Story gut. Es ist nicht leicht, jeden Aspekt in einem Film unterzubringen. „Die sieben Samurai“ von Kurosawa ist ein Beispiel für einen Film mit guten Charakteren, guter Story und guter Ästhetik. Es ist einer der vollständigsten Filme überhaupt. Ich mag es am liebsten, den Charakteren zu folgen. Manchmal findet man interessante Thriller mit verschachtelten Plots, aber es fühlt sich mechanisch an, wenn die Charaktere nicht multidimensional sind. Man kann es genießen, wie ich einige Zombiefilme genieße. Es ist eine guter Erfahrung, aber es ist wie Masturbation, diese Filme zu sehen. Ich bevorzuge echte Liebe.

PS: Zu guter Letzt: Wenn sie drei Filme, die jeder gesehen haben muss, nennen müssten, welche drei wären es?

PR: Das ist keine leichte Frage. Ich habe über „Die sieben Samurai“ geredet. Das ist einer der wichtigsten Filme. Ich mag Filme von Hitchcock. Ich mag die Filme von Bergmann und Chaplin. „Der Elefantenmensch“ von Lynch ist wahrscheinlich mein Herzensfilm. Ich denke, dass „Die sieben Samurai“ und „Der Elefantenmensch“ die beiden Filme sind. Einen dritten könnte ich nicht aussuchen. Vielleicht „Citizen Kane“ oder „Psycho“ oder vielleicht auch „2001“ oder „Wege zum Ruhm“. Ich weiß es nicht.

PS: Vielen Dank für das Gespräch!


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