Das unsichtbare Vermächtnis von James Camerons Avatar

11.05.2016 - 09:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Der mit den Na'vi tanzt
20th Century Fox
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Vier Fortsetzungen hat James Cameron zu seinem Megahit angekündigt – und fast zehn Jahre werden seit dem Original vergangen sein, wenn Avatar 2 in die Kinos kommt. Doch was ist eigentlich geblieben vom erfolgreichsten Film aller Zeiten?

"Ich bin der König der Welt", jubelte Regisseur James Cameron auf der Oscarverleihung 1998 , nachdem er und seine Titanic mit Preisen überschüttet worden sind. Das wirkte zwar ein bisschen megalomanisch, traf aber durchaus den Kern der Sache: Als König der Filmwelt wenigstens durfte Cameron an diesem Abend einen bis dato beispiellosen Erfolg feiern, der vielleicht auch ihn derart überwältigte, dass er seine Untergebenen zwölf Jahre auf einen weiteren Spielfilm warten ließ. Niemand, außer natürlich Cameron selbst, wird damals geglaubt haben, diesen Erfolg noch einmal wiederholen, geschweige denn übertreffen zu können – bis dem König das tatsächlich mit einem antiimperialistischen Ökomärchen in 3D gelang. Avatar - Aufbruch nach Pandora war der Film, den jeder gesehen hat, sehen wollte, sehen musste. Der sämtliche Kassenrekorde brach und das Kino, wie es damals hieß, für immer verändern werde. Hail to King James, einen Moment lang waren wir alle blau.

Dass sich das Kino von diesem Erfolg schnell wieder erholte, gehört allerdings ebenso zum Mythos Avatar – und ist nicht nur eine spielverderberische Katerstimmungspointe, sondern vielleicht das eigentliche Phänomen. Der Film habe keinen "popkulturellen Fußabdruck" hinterlassen, schrieb Forbes-Autor Scott Mendelson damals in einem der ersten Artikel  über die verwunderliche Kurzlebigkeit des Pandora-Hypes. Es gebe keine Kinder, die seine berühmtesten Szenen nachstellten oder mit Avatar-Actionfiguren spielten, und kaum ein Kinogänger habe Charaktere des Films oder ihre Schauspieler beim Namen nennen können: "Die Chance, dass Avatar das Star Wars oder überhaupt das Irgendetwas seiner Generation sein würde, kam und ging noch im gleichen Moment". Geblieben sei einzig das zum Industriestandard für Blockbusterauswertungen erhobene und in vielen Fällen als billige Konversion eingesetzte 3D-Format. Nicht unbedingt ein positives Vermächtnis, so Mendelson.

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Nun mögen sich in eine solche Diagnose gewiss die Tücken selektiver Wahrnehmung mischen (obgleich Mendelson Avatar, wie ich übrigens auch, sogar sehr gern mag). Doch er hatte einen Punkt: Dem Film ist es nicht gelungen, im kollektiven Bewusstsein des Publikums nennenswerte Spuren zu hinterlassen, und er blieb, was noch viel erstaunlicher ist, auch im Kino ohne Resonanz. Es folgten ihm keine zahllosen Rip-offs, wie sie einst Alien oder dem Krieg der Sterne folgten. Und er zog keine Fernsehserien, Romanreihen oder außergewöhnlichen Merchandising-Artikel nach sich, sondern lediglich ein mittlerweile zu Schleuderpreisen erhältliches Videospiel – und die Ankündigung, dass Dark Horse sechs Jahre nach Veröffentlichung des Films an einem Comic arbeite. Avatar ist eine Marke, bei der Suchmaschinen gefühlt mehr Ergebnisse zur gleichnamigen Zeichentrickserie als zum erfolgreichsten Film aller Zeiten ausspucken.

Das ist freilich überhaupt nicht schlimm, es ist nur sehr erstaunlich. James Cameron verstand sich nie auf Produktoptimierung im Spielbergschen oder Lucasschen Sinne, hat aber mit Terminator und dessen Fortsetzung eine der größten multimedialen Franchisemaschinen des Kinos kreiert. An Terminator 2 - Tag der Abrechnung schien noch Jahre nach seiner Veröffentlichung kein Vorbeikommen möglich (wozu die populäre Live-Action-Show in 3D, insbesondere aber ein Merchandising beitrug, das selbst Flipperautomaten zu Verkaufsschlagern werden ließ), und seinen naturgemäß nicht sehr franchisekompatiblen Megahit Titanic ergänzte Cameron um Dokumentationen, deren Rückkehr zum Ort des Schreckens zugleich eine Versicherung des filmischen Erbes war. Aus dem postmodernen Kinokanon bekommt man diese Filme ebenso wie Aliens - Die Rückkehr nicht mehr weg. Sie waren instant classics. Und sind ihr eigenes andauerndes Zitat.


Für Avatar hat James Cameron selbstredend ähnliche Pläne, lässt den Ausbau seines Pandora-Universums jedoch entspannt angehen. Fast zehn Jahre werden zwischen Original und Fortsetzung liegen, wenn Avatar 2 an Weihnachten 2018 in die Kinos kommt (drei weitere, zeitgleich gedrehte Sequels sollen 2020, 2022 und 2023 folgen). Marktstrategisch ist das natürlich absolut größenwahnsinnig, aber unterhalb von Megalomanie macht es der "König der Welt" eben auch nicht: Auf der letzten CinemaCon präsentierte Cameron seinen Franchise-Aufriss  in der augenscheinlichen Annahme, dass das Volk kaum erwarten könne, wie es mit der Geschichte um die Na'vi weitergeht. "Ich bin sprachlos", sagte er über die Designentwürfe zu Avatar 2 (gemeint war vielleicht: "niemand haut mich so sehr aus den Socken wie ich mich selbst"), und verkündete, die Filme würden anders als alles, was man bisher gesehen habe.

Anders als alles, was man bisher gesehen habe – das war auch das Versprechen, mit dem der erste Avatar antrat, um Kino noch einmal neu zu denken. Seine Archetypen erzählte der Film mit einer Selbstverständlichkeit, die so tat, als hätte sie nie zuvor ein Mensch erzählt, und er konnte sich der Verbundenheit des Publikums mit ihrer synästhetischen Inszenierung sicher sein. Insofern sollte man wohl tatsächlich, wie auch Scott Mendelson schreibt, niemals gegen James Cameron wetten. Er strafte Skeptiker seiner gigantischen Projekte schon immer Lügen, vom einst mit 100 Millionen Dollar Produktionskosten als riskant geltenden R-Rated-Blockbuster Terminator 2 bis zum finanziell überveranschlagten Titanic, den Branchenblätter im Vorfeld hämisch niederschrieben. Kaum jemand scheint in Hollywood ein derartiges Urvertrauen ins eigene künstlerische Schaffen zu haben. Und kaum jemandem wird es überhaupt noch gestattet.

King of Marianengraben: James Cameron's Deepsea Challenge 3D

Man kann daher nur spekulieren, welche Verkaufsargumente James Cameron für seine nachgereichten Avatar-Fortsetzungen diesmal wie Asse im Ärmel trägt. Ein HFR-Format  möglicherweise, das Peter Jacksons suboptimalen Fantasy-Realismus rekalibriert? Geruchskino, mit dem sich Pandora-Blüten lebensecht erschnüffeln lassen? Oder doch brillenloses 3D, wie es dem Filmemacher schon vor Jahren  vorschwebte? Cameron wird sich gegen Disney- und Comic-Tentpoles, die das Kino nach Avatar ungleich stärker beeinflusst haben als sein eigener Film, jedenfalls nicht mit einem simplen Expanded Universe, sondern vor allem technologisch durchsetzen wollen. Wer es bis zum tiefsten Punkt der Erde geschafft hat, kann es auch mit Superhelden in Strumpfhosen aufnehmen – zumal selbst dem zum Kinojahrhundertevent aufgeblasenen Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht nicht gelingen wollte, am internationalen Einspiel von Avatar zu kratzen.

So schnell lässt sich ein James Cameron nicht entthronen.

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