Stranger Things und Es: Wie 80er-Nostalgie den Horrorfilm beherrscht

29.10.2018 - 15:55 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Stranger Things
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Die Kids, die mit Horrorklassikern von Carpenter und Co. aufgewachsen sind, drehen heute selbst Filme und lösen in dem Genre eine regelrechte Retro-Welle aus.

Die 80er sind zurück! Vor allem im Horrorfilm. Egal, ob die Geschichte in der wilden Dekade spielt, Sound und Ästhetik von ihr inspiriert sind oder der Film vollgestopft ist mit Referenzen an die Klassiker: Das Genre erlebt eine waschechte Retro-Manie. Egal, ob Studio-Horror oder Indie-Darling - überall finden sich die Spuren der alten Meister. Im Rahmen unseres Themenspecials Angst, Schrecken, Panik - Horror-Monat 2018 möchte ich mich auf eine Reise in die Vergangenheit begeben und dabei ganz genau herausfinden, welche Elemente einen Retro-Horrorfilm überhaupt ausmachen, warum der Trend gerade jetzt so einschlägt und welche Schlüsse wir daraus für die Gegenwart und die Zukunft des Genres ziehen können.

Was macht einen Horrorfilm retro?

Der offensichtlichste Hinweis, dass es sich bei einem modernen Film um eine Hommage an das Horrorkino der späten 1970er- und 1980er-Jahre handelt, ist das Setting. Die Serie Stranger Things, Andy Muschettis Es-Remake, Summer of '84, der Old-School-Heavy-Metal-Trip Mandy und Ti Wests The House of the Devil spielen alle in den 1980er-Jahren. Darüberhinaus emulieren sie den Style und die Atmosphäre von Filmen, Büchern und Musik aus der Zeit. Stranger Things bewegt sich ungeniert auf den Pfaden von Goonies und E.T., Mandy ist inspiriert von okkulten Fantasy-Groschenromanen, Heavy Metal Albencovern und Prog-Rock und für House of the Devil schmeißt Regisseur Ti West mit Zooms und Freeze Frames nur so um sich, statt von zeitgemäßen Kameratechniken Gebrauch zu machen.

Stranger Things

Kleine, abgeschottete Kommunen sind meist der zentrale Handlungsort in Retro-Horrorfilmen. Das kann eine amerikanische Vorstadt sein wie in den Vorbildern A Nightmare on Elm Street oder Halloween oder aber ein abgeschiedenes Städtchen, in dem junge Leute leben, denen keiner glaubt, dass sie mysteriösen Machenschaften auf die Spur kommen. Mehr noch als an Handlungsort und -zeit erkennt man einen Retro-Horror aber an seinen besonderen inhaltlichen Elementen.

Konstruktion von Kindheit und Jugend im Retro-Horror

Da die meisten Regisseure, die derzeit im Horrorgenre arbeiten, ihre Kindheit und Jugend in den 1970er- und 1980er-Jahren verbracht haben, ist es naheliegend, dass ihre Erinnerungen von einer kindlich-nostalgischen Sichtweise dieser Zeit geprägt sind. Horror ist immer dann am effektivsten, wenn er zusätzlich zum Fremdartigen auch ein Element des Vertrauten beinhaltet, weshalb es sich anbietet, das Publikum in die eigene Jugend zu entführen. Da ein Großteil der Zuschauer wahrscheinlich ähnlich verklärt auf die eigene Kindheit zurückblickt und ein paar Anspielungen hier und da schon nostalgische Gefühle wecken, ist es einfach, diese vertraute Atmosphäre heraufzubeschwören und das Publikum so einzulullen und in diese magische Zeit zu entführen, in der "die Welt noch in Ordnung" war - auch wenn die Darstellung eigentlich so gar nicht der Realität entspricht.

Summer of '84

In der Retro-Serie Stranger Things wie auch im Es-Remake fahren die Kids frei und unbekümmert den ganzen Tag mit ihrem Rad durch die Stadt, ohne dass sich ein Erwachsener darum schert - und das, obwohl ein Kind vermisst wird. Das mag in der Filmwelt glaubwürdig sein, in Wahrheit hätte in den 1980ern in Amerika nach so einem Fall allerdings Massenhysterie geherrscht, besonders in einer Kleinstadt. Die Angst davor, dass das eigene Kind auf der Rückseite eines Milchkartons landet, war damals wahrscheinlich größer als in allen vorangegangenen und darauffolgenden Dekaden. Die kindlichen Protagonisten in diesen Filmen entscheiden für sich selbst und handeln eher so, dass sich Erwachsene mit ihnen identifizieren können. Dadurch bekommen sie ein Idealbild ihrer eigenen Jugend präsentiert. Nur punktuell wird mit dieser heilen Welt gebrochen, Rassismus, Sexismus und Homophobie sind durchaus Teil der 1980er-Illusion, unsere Helden stehen jedoch immer unschuldig über solchen Vorurteilen.

Wenn dann der Horror über die Figuren hereinbricht, fürchtet der Zuschauer um den Verlust dieser suggerierten kindlichen Unschuld, nach der er sich zurücksehnt. In Retro-Horrorfilmen wie It Follows oder Es hat dieser Horror zudem einen unmissverständlichen sexuellen Subtext.

It Follows

Technologie im Retro-Horror

Ein Grund für die Beliebtheit von Retro-Horror ist die Tatsache, dass viele klassische Prämissen aufgrund zeitgenössischer Technologie gar nicht mehr funktionieren würden. Egal, ob der Film nun in der Vergangenheit spielt oder ob aus einem anderen Grund keine Handys, Laptops und Tablets darin vorkommen: Horrorfilme profitieren schon allein logisch von einer Abwesenheit moderner Technologie. Außerdem fühlt sich die Geschichte dadurch erstens zeitloser und menschlicher an und zweitens ist alte Technik visuell einfach interessanter. Es ist bedeutend cooler, in einem alten Buch im Keller der Stadtbibliothek den Namen eines rachsüchtigen Geistes herauszufinden als daheim am Laptop bei einer schnellen Google-Suche.

Die Liebe zu alter Technologie ist zudem ein wesentlicher Bestandteil unserer jetzigen Gesellschaft. Statt CDs oder Musik-Streaming zu nutzen, greifen heutzutage auch viele Menschen wieder nach Schallplatten. Abspielgeräte wie Laserdisk-Player oder eine eigene Jukebox sind Statussymbole und Sammlerstücke unter Nostalgikern und sogenannten Hipstern. Kein Wunder also, dass viele Filmemacher aus derselben Generation ihre Werke gerne mit Retro-Chic ausstatten.

Mandy

Retro als Gegenbewegung zur Ironie

Die Rückbesinnung auf die Horror-Hochkultur der 1980er-Jahre folgt einer Welle an stilistisch experimentellen Filmen, die das Genre in der letzten Dekade überschattete. The Blair Witch Project öffnete 1999 als einer der ersten amerikanischen Found Footage-Filme die Tür für das Genre, mit Paranormal Activity erlebte es 2007 seine Hochzeit, ein Jahr später mit J.J. Abrams' Cloverfield seine logische Endstufe. Die Prätention, das Geschehen vor der Kamera sei real, wich dem Anspruch, die stilistischen Möglichkeiten des Genres voll auszunutzen. In den Folgejahren entstanden unter anderem Doku- (Lake Mungo, Der letzte Exorzismus), Episoden- (V/H/S) und Fantasyhorrorfilme (REC, Trollhunters), die sich der Technik bedienten. Dadurch, dass sich die Figuren der Kamera bewusst sind, während das Publikum weiß, dass das Gezeigte nur ein Schauspiel ist, spielt das Genre konstant mit dem Durchbrechen der vierten Wand.

Auch traditionelle Horrorfilme und -komödien wurden immer metatextueller - Wegbereiter dafür waren in erster Linie Wes Cravens Scream und Michael Hanekes Funny Games. In Tucker and Dale Vs Evil werden genüsslich Backwood-Horror-Klischees aufs Korn genommen, The Rise of Leslie Vernon kommentiert Slasher-Konventionen, Rubber zerlegt das Genre in seine Einzelteile und Drew Godards A Cabin in the Woods kritisiert seine Festgefahrenheit, indem er sinnbildlich alle Tropen auf einmal in einen Raum sperrt und dort begräbt.

Rückbesinnung auf die Stärken der Klassiker

Die Retro-Manie kann sowohl als Weiterentwicklung als auch eine Art Gegenbewegung zu diesem Trend verstanden werden. Die alten Klischees und Regeln des Genres werden häufig noch immer ironisch gebrochen oder neu aufgestellt, dafür sind aber auch Ernsthaftigkeit und Handwerkskunst zum Horror zurückgekehrt. Statt sich von einem modernen Standpunkt aus über die Naivität und Simplizität der Klassiker zu mokieren, streben Filmemacher heute danach, ihre ursprüngliche Wirkung mit modernen Mitteln einzufangen und an eine neue Generation von Horrorfans weiterzureichen.

The Guest

Get Out erinnert nicht von Ungefähr an The Stepford Wives, The Purge klaut bei Snake Plissken, Black Mirror will eine zeitgemäße Version der Twilight Zone sein und It Follows und The Guest hätten mit ihren Prämissen genauso gut von Wes Craven oder John Carpenter stammen können. Sie alle haben ihren Erfolg berühmten Vorgängern zu verdanken und tragen ihre Einflüsse sichtbar und mit Stolz, haben aber auch eine zeitgemäße Sensibilität. Die besten Vertreter der neuen Retro-Welle können vorzüglich für sich alleine stehen und stellen nicht etwa einen Rückschritt sondern durchaus eine Weiterentwicklung für das Genre dar. Und ich bin höchst gespannt, wohin die Reise als nächstes hingehen wird.

Was ist euer liebster Retro-Horrorfilm?

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