Hinweis: Dieser Artikel wurde bereits im Rahmen der Reihe Speakers' Corner veröffentlicht
Als Anna Gunn für ihre grandiose Darstellung der Skyler White bei der diesjährigen Emmy-Verleihung
erneut als beste Nebendarstellerin in einer Dramaserie ausgezeichnet wurde, brach sich eine der unschönen
Begleiterscheinungen der Kultserie Breaking Bad zum vorläufig letzten Mal Bahn: Der breite Fanhass gegen die Figur
Skyler White. Auch hier auf moviepilot fand sich die kontroverse Figur auf einer Reihe entsprechender Schlechtest-of-Listen. „Selbstgefällig“, „unsympathisch“ und „nervig“ sind dabei die harmloseren
Kommentare. „Ich wünsche mir jede Folge, dass er sie endlich mal erwürgt“, „man will sie schlagen, wenn man
sie sieht“, „Sie soll möglichst qualvoll krepieren!!!“. Auf youtube existiert ein Fanvideo , in dem der Hater dabei
zuschauen kann, wie Skyler White aufs Maul bekommt... eine Stunde lang. Wer glaubt, solche Fantasien über
häusliche Gewalt seien die Spitze des Eisbergs, dem sei ein Blick in die Kommentare der deutschen Breaking-
Bad-Wiki empfohlen, wo sich neben gewöhnlichen Beleidigungen („undankbare Nutte“) auch krude sexuelle
Bestrafungsfantasien („hab die glaube ich mal in nem porno gesehen. die hat das horn von nem stier geritten“)
finden.
Die Trennlinie zwischen Fiktion und Realität
Es mag grundsätzlich löblich sein, wenn fiktive Serien die Fantasie des Betrachters anregen, der Fall „Skyler
White“ zeigt indes die hässliche Fratze des Mediums Kino. Dabei hilft es auch nicht, sich darauf
zurückzuziehen, dass Skyler eine fiktive Figur ist und sämtliche Gewaltfantasien und Anfeindungen deswegen
niemanden wehtun würden. Zum einen überträgt sich der Hass in letzter Konsequenz auch auf die Darstellerin
der Figur: „Could somebody tell me where I can find Anna Gunn so I can kill her“, schrieb ein User in der
Facebook-Gruppe I Hate Skyler White – ganz so, als sei sie für den Tiefencharakter der Figur verantwortlich, und
nicht etwa Showrunner und Mastermind Vince Gilligan. Anna Gunn machte ihrer Ratlosigkeit in der New York
Times bereits 2013 Luft - der Hemmungslosigkeit der Anfeindungen hat das freilich keinen Abbruch getan.
Charakter zeigen
Noch viel wichtiger und aufschlussreicher ist jedoch, dass die fiktive Figur Skyler für ganz reale
Charaktereigenschaften und Vorstellungen von Weiblichkeit steht, mit denen einige Fans offenkundig nicht
klarkommen. Vince Gilligan konzipierte die Figur, laut eigener Aussage, als eine Frau mit Rückgrat, die sich
nicht wegduckt und sich allen Problemen stellt, statt weinerlich in der Ecke zusammenzubrechen und in
Selbstmitleid zu ertrinken. Gleichzeitig ist sie dabei ständigen Selbstzweifeln und Widersprüchen unterworfen –
kurz ein dreidimensionaler Charakter, wie aus dem Lehrbuch für Drehbuchschreiber. Das Traurige: Es sind genau
diese Charaktereigenschaften einer starken, selbstbestimmten und selbstreflektierten Frau, an denen sich die
Skyler-Hasser hochziehen. Die Figur Skyler steht offenkundig stellvertretend für einen bestimmten Frauentyp,
der von einer beträchtlichen Anzahl sexistischer Breaking-Bad-Fans als verachtenswert empfunden wird.
Warum ist das Sexismus?
„Was soll denn daran sexistisch sein?“ plärrt es in der Regel reflexhaft hervor. „Ich würde sie auch scheiße
finden, wenn sie ein Typ wäre.“ Nein, das würdet ihr schon deshalb nicht, weil Walter White dann ja schwul
sein müsste und ihr automatisch das Interesse an der Show verlieren würdet – Spaß beiseite. Skyler verkörpert
im Prinzip alle Eigenschaften, die auch Walter auszeichnen, ist ihm in den allermeisten Szenen sogar in Punkto
Entschlossenheit weit überlegen. Was bei Walter allerdings als „zielstrebig“ und „kaltschnäuzig“ durchgeht,
wird Skyler als „stur“ und „herzlos“ vorgehalten. Wenn Skyler ihren Mann betrügt, ist sie automatisch
eine „undankbare Nutte“, dass Walter seine gesamte Familie belügt und regelmäßig in Lebensgefahr bringt,
ist „angesichts der Situation nachvollziehbar“. Skyler und Walter sind sich bemerkenswert ähnlich - trotzdem
wird nur Skylers Verhalten kritisiert. Und das deshalb, weil sie sich offenkundig nicht so verhält, wie es
bestimmte Geschlechternormen vorsehen.
Trophy Wife?
Es mag für manche schwer zu schlucken sein, dass Skyler dem gebeutelten Antihelden Walter White bei
seinem beschwerlichen Weg zum Obermobster von Albuquerque auch noch in den heimischen vier Wänden
zusätzliche Steine in den Weg legt. Ich meine, was denkt die „dumme bitch“ sich eigentlich? Ist es denn
für eine „undankbare Nutte“ wie Skyler etwa zu viel verlangt, dass sie einfach Mal das Maul hält, etwas
Anständiges kocht, die Kinder hütet und ihr gemeinsames Glück akzeptiert, wenn der Mann nach einem
anstrengenden Tag voller Meth-Kochen und Konkurrenz-Ausschalten nach Hause kommt? Kann man denn
nicht EINMAL seine Ruhe haben? Das Gangsterleben ist schließlich schon hart genug. Es klingt grotesk, doch
im Grunde beschreibt das ziemlich genau den Kern des Problems, das einige Fanboys mit der Figur haben. Hier
offenbart sich ein offen ausgelebter Sexismus und ein Weltbild, in dem Frauen das dankbare Anhängsel eines
Mannes sein müssen. Ein ganz ähnliches Muster, wenn auch in weit abgeschwächter Form, findet sich übrigens
auch im Umgang mit ähnlichen Ehefrau-Charakteren (Carmela Soprano aus Die Sopranos und Betty Drape r aus Mad Men).
Der Walter White in uns allen
Auf der anderen Seite zeigt sich hier natürlich auch die enorme Qualität der Serie Breaking Bad. Sie schafft es, das Publikum selbst dann noch mit Walter White sympathisieren zu lassen, wenn er sich längst von allen seinen ursprünglichen Idealen verabschiedet hat, und ein frauenverachtendes und egozentrisches Arschloch geworden ist. Leider scheinen einige Zuschauer diese Demaskierung seiner Persönlichkeit nicht in Gänze zu verstehen und offenbaren dabei ganz ähnliche Charaktereigenschaften wie der finale Heisenberg. Wenn uns die Geschichte von Breaking Bad gezeigt hat, wie viel Schlechtes in einem Durchschnittstypen schlummert, dann hat die Figur der Skyler White das Kunststück vollbracht, nicht nur die dunkle Seite von Walter White, sondern die mancher Fanboys zum Vorschein zu bringen.