Charité - Pilot-Check zur historischen Krankenhaus-Serie der ARD

21.03.2017 - 19:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
CharitéARD
17
4
Charité, von Sönke Wortmann für die ARD gedreht, findet sich und seine Themen ziemlich toll. Aber wer das gehofft haben sollte: Ein deutsches The Knick ist Charité nicht.

Es ist ein Segen, dass die Zeit voranschreitet, denn sonst hätten die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF irgendwann nichts mehr, was sich so mir nichts, dir nichts wegverfilmen ließe und Regisseure wie Sönke Wortmann bald womöglich keine Sujets mehr. Sönke Wortmann dreht formlose Panorama-Filme wie Deutschland. Dein Selbstporträt und jetzt auch Mini-Serien wie Charité, die man eben lieber nicht sehen sollte "weil Sönke Wortmann als Regisseur schon mal für Entertainment-Qualität steht." (Hörzu ). Die Regisseur-Wahl ist Sendeplatz- und Senderkonform. Charité wird ab heute im Wochentakt immer um 20:15 Uhr bei der ARD ausgestrahlt. Dass die ARD in der Vergangenheit auch mehr oder weniger Radikales (Terror - Ihr Urteil) und bald hoffentlich auch Großes (Babylon Berlin) auf den Fernsehmarkt wirft: geschenkt. Charité ist schlechtes Zielgruppenfernsehen und dabei genau wie You Are Wanted (wenn wir schon mal dabei sind!), der übliche zum Scheitern verurteilte Versuch, die Sehgewohnheiten von 80 Millionen Menschen auf einen Nenner zu bringen, der sich alsbald im Plastiksarg verewigt in den DVD-Regalen etwaiger Elektronikfachhändler wiederfinden wird.

Charité

Charité begeht die üblichen Fehler der meisten ARD/ZDF-Dreiteiler (ein solcher ist Charité im Grunde auch, nur eben auf sechs Teile aufgespaltet). Sie ist überwältigt vom eigenen Sujet und erstarrt vor ihm in Ehrfurcht. Die Serie findet ihr Thema und ihre Epoche so superklasse, dass sie alles mitnehmen will, was Stoff und Zeit hergeben. Die Serie spielt in einem bewegten politischen Jahr, dem Drei-Kaiser-Jahr , als innerhalb von vier Monaten zwei Machtwechsel das Deutsche Reich durchschüttelten. Sie spielt in einem Krankenhaus, in dem vier Mediziner sich gegenseitig mit Erkenntnissen, Geniestreichen und wissenschaftlichen Quantensprüngen übertrumpfen. Und Charité soll auch noch die gesellschaftlichen Strömungen dieser Zeit abbilden. Das Krankenhaus als Ort menschlicher, sozialer und körperlicher Abstraktion erscheint da durchaus als passend, die Serie aber ist hoffnungslos überfrachtet.

Eine gut erzählte Serie wüsste die Ereignisse ihrer Zeit zu bündeln, würde hier und da geschwind andeuten, anstatt ein Fass nach dem anderen anzustechen, um sich dann im Auffangen des Erzählflusses zu verzetteln. Anders etwa als vergleichbare Formate wie The Crown begnügt sich Charité nicht mit der Neigung des Fokus' auf einen organischen Personenkreis und deren Perspektiven auf das Zeitgeschehen. Die ARD und ihr Publikum brauchen die Panorama-Perspektive, die oft ergiebigere Totale genügt nicht. Für ein Panorama sind aber die viereinhalb zur Verfügung stehenden Stunden nicht genug (The Crown hatte zehn). So verfällt Charité zu oft in den aus Dreiteilern gewohnten flüchtigen Umgang mit den Figuren.

Die sind natürlich hochinteressant und auch hervorragend gecastet, viel besser, als man dies aus deutschen Fernsehproduktionen gewohnt ist, was die Sache nur noch ärgerlicher macht. Rudolf Karl Ludwig Virchow wird als gerechtes Genie von Ernst Stötzner gespielt, Emil von Behring getrieben von Matthias Koeberlin, Paul Ehrlich unauffällig von Christoph Bach und Robert Koch nervös von Justus von Dohnányi. Diese Mediziner-Köpfe prallen im Piloten ein ums andere Mal aneinander. Nur der von Koch nicht, der sich in die junge Tänzerin Hedwig Freiberg (ganz befreit: Emilia Schüle) verliebt. Schöne Dialogmomente ergeben sich hier, etwa wenn der große Mediziner-Kopf vor seinem jungen Fan und baldigen Schwarm dahinschmilzt und ihm zum Geschenk eine wissenschaftliche Abhandlung überreicht:

'Bakteriologische Untersuchungen über verschiedene zur Unterkleidung verwendete Stoffe? Das klingt geradezu frivol, Herr Geheimrat.' - 'Aber nein, es handelt sich um Überlegungen zur Hygiene' - 'Ich finde Hygiene famos!'

Aber das sind Spielereien. Mächtige Geschichtswogen erreichen die Charité. Virchow untersucht eine Zellprobe des Kronprinzen auf Krebs. "Die Rosen blühen." telegrafiert er als Antwort. Der Kronprinz könnte bei einem Machtwechsel für Modernisierungen im Krankenhaus sorgen. Außerdem greift im schmutzigen und mit Menschen vollgestopften Berlin die Tuberkulose und Armut um sich. Hilfsschwester Stine (Monika Oschek) bittet Medizinschüler Georg Tischendorf (Maximilian Meyer-Bretschneider) ihrer schwangeren Cousine einen Engel zu machen. "Hier, fühlense dit jeschundene Herz in menem Busen", fleht sie und bietet ihm im Tausch ihre "Naturalien" an.

Interessanter wird es, wenn die Serie sich von der Ärzte-Etage hinunterbegibt zu den Hilfsschwestern (oder Wärterinnen), für die die Charité oft den letzten Halt vor Obdachlosigkeit und Prostitution darstellt. Entsprechend werden sie behandelt. Die selbstgerechte Oberschwester peitscht die jungen Frauen durch 18-Stunden-Tage. Eine von ihnen wird erst im Laufe der ersten Folge zum Wärterinnendasein verdammt. Ida Lenze (Alicia von Rittberg), die nach einer Blinddarmentzündung von der Familie, die sie als Kindermädchen angestellt hatte, entlassen wird, könnte im Themen- und Figurenpanorama der Serie den Fixpunkt bilden.

Zur dringend nötigen Konzentration und so zum Quantensprung wird sie Charité damit auch nicht verhelfen. Doch interessant an Charité ist dieses irritierte, unentschlossene Schütteln an manchen Stellen des Piloten. Als ob 10 Jahre Qualitätsfernsehen in Übersee auch an Sönke Wortmann nicht spurlos vorbeigegangen wären, hält die Serie hin und wieder inne. Skalpellschnittförmige The Knick-Streifen erleuchten den breiten, sepiagrauen Charité -Horizont, wenn ein schwangeres Mädchen, das sich zur Entfruchtung aus dem Fenster stürzte, am Ende der Episode zur anatomischen Ansicht entblättert auf dem Untersuchungstisch inmitten einer kreisrunden Arena liegt.


Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News