Benicio del Toro - Die animalische Wucht des Schauspiels

19.02.2017 - 09:20 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Benicio del Toro in Inherent Vice
Warner Bros.
Benicio del Toro in Inherent Vice
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Zum 50. Geburtstag von Benicio del Toro blicken wir auf die Einzigartigkeit des Schauspiels im Grenzgebiet zwischen Stoik, Wildheit und Impulsivität.

Vorsicht, es folgen Spoiler zu Sicario und 21 Gramm. Benicio del Toro ist ein ziemlich tierischer Typ. Sein Name heißt wörtlich übersetzt "Benicio vom Stier", 2010 war er im lauwarmen, kopflosen Universal-Monster-Aufguss als Wolfman zu sehen und im Making-of  zum bitteren Verlust-Mosaik 21 Gramm sagt Regisseur Alejandro González Iñárritu über den Schauspieler:

Benicio ist wie ein filmisches Tier. Er hat dieses Innenleben. An jeden Ort, an den du die Kamera und Benicio stellst, wird die Kamera in ihn verliebt sein und antworten. Es ist eine magnetische Kraft. Du spürst viele Dinge, die vor sich gehen. In ihm.

Diese in seinen Auftritten mitschwingende Animalität war es denn auch, die mich auf den in Puerto Rico geborenen Darsteller aufmerksam machte - seinem mexikanischen, lobredenden Regie-Kollegen sei Dank. Seit meiner ersten Intensivbehandlung mit dem wuchtigen Talent des Mittelamerikaners vor rund zehn Jahren in eben jenem 21 Gramm begleitet mich del Toro, der heute auf den Tag seit einem halben Jahrhundert unter uns weilt. Aus diesem Anlass blicke ich zurück auf die unbändige Kraft seiner Kunst und damit in die Augen eines Wolfes.

Auf stoischer Beutejagd

Denn in Denis Villeneuves desillusionierend-hypnotischem Thriller Sicario etwa werden wir nicht nur Zeuge, wie Emily Blunt als anfangs noch idealistische, mit humanistisch geprägten Vorstellungen versehene FBI-Agentin Kate im drogengetränkten Kartellkrieg der moralische Werteteppich brutal unter den Füßen weggezogen wird. Der Schauplatz des Films im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten stellt sich letzten Endes auch als Jagdgebiet Alejandros (Benicio del Toro) heraus, der stoisch und mit unheimlich kalter Präzision seinen Racheplan verfolgt: Den Mörder seiner Familie, einen Drogenboss, ausfindig machen und töten. Sein Vorhaben gleicht einer auf reiner Effektivität basierenden Beutejagd als Alphatier eines mit Sturmgewehren bewaffneten Rudels, das keine Kompromisse kennt. Es ist Benicio del Toro, der diesem wilden Biest sein menschliches, wenn auch Wolfs-artiges Gesicht verleiht:

Hier werden Sie nicht überleben. Sie sind kein Wolf. Und das hier ist jetzt das Land der Wölfe.
Benicio del Toro in Sicario

Mit diesen an Kate gerichteten, regelrecht selbstreflexiven Worten deutet Alejandro auf seine Existenz als Predator im Drogendschungel, nachdem er die junge Frau zuvor mit eindringlich-stoischer Ruhe um ihre Unterschrift "bat", die sein Vorgehen und das seiner US-Kollegen legitimierte - mit an den Kiefer gehaltener Pistole und del Toros beißendem Blick. Allein die bloße Präsenz des Schauspielers reicht aus, um die vom kanadischen Regisseur gewählten Bilder zum Zittern zu bringen. In seinem ersten Auftritt des 2015 erschienen Films steht er entfernt der Bildmitte, ein weißes Sakko tragend, auf einem Rollfeld abseits des eigentlichen Geschehens und zieht mit seiner schweigenden Präsenz den Moment an sich.

Unter echten Revoluzzern und impulsiven Ex-Knackis

Freilich bringt dieses stille Spannungsfeld erst das Villeneuve'sche Framing zustande, doch jede Bildkomposition verlangt nach den richtigen Zutaten - del Toros Aura würzt sie mit reiner, ungezwungener Anwesenheit, der Qualität eines jeden großen Akteurs. Einer geradezu übermenschlichen Größe, die er unter der Regie Steven Soderberghs in dessen zweiteiligem Biopic Che, bestehend aus Revolución und Guerrilla, seiner titelgebenden Figur Ernesto "Che" Guevara schrittweise verleiht, dabei aber stets Mensch und so in der Realität verhaftet bleibt. Anfangs noch deutlich unter dem Kommando seines kubanischen Kameraden Fidel Castro (Demián Bichir) stehend, fungiert del Toro als schauspielerisch feinsinniger Chirurg, der die Schichten seines Charakters vorsichtig offenlegt. Vom ruhigen, noch zurückhaltenden Mitkämpfer, dem Castro in einer Szene einen Ausländerkomplex bescheinigt (Guevara war Argentinier), hin zum ikonischen Anführer, der überzeugten Nachdrucks vor der UN - und damit vor aller Welt - über die Notwendigkeit von Exekutionen spricht und den Schlachtruf ausgibt: "Vaterland oder Tod!"

Benicio del Toro in Che

Benicio del Toro verleiht Che die authentische, wertfreie Wahrheit, die hinter dem glänzendem Shirt- und Poster-Revoluzzer steckt und der sich zuweilen, vom Asthma gezeichnet, keuchend durch den feuchten Dschungel schleppt. Ohnehin verkörpert der Schauspieler nie einen von Pathos infizierten Helden-Typus, sondern Originale im Grenzgebiet zwischen abwartender Stoik, fiebriger Wildheit und emporstrudelnder Impulsivität, die er hin und wieder mit humorvoller Skurrilität (wie etwa in Fear and Loathing in Las Vegas oder Guardians of the Galaxy) bricht.

Seine Rolle als Ex-Sträfling und mutmaßlich gottverlassener Jack in Iñárritus eingangs erwähntem 21 Gramm steht geradezu prototypisch für den Balanceakt zwischen diesen Qualitäten. Als Spielball der tragischen Ereignisse um den Tod zweier Kinder und deren Vaters, den er zu verantworten hat, wandelt del Toro samt wildgewachsener Matte zwischen religiös motiviertem Tunnelblick und emotionaler Explosion. In einem der bedrückendsten wie wuchtigsten Momente des Films schießt es aus Jacks rau klingender Kehle heraus, als er gegenüber seinem einstigen Mentor (Eddie Marsan) die in ihm brennende "Hölle" beschreibt, die durch den "Verrat" Jesus' an ihm erst entfacht wurde.

Ein wahrhaft ungebändigter, animalischer Augenblick des Benicio del Toro. Alles Gute zum 50. Geburtstag!

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