Atomic Blonde und die Krux mit dem Label "starke Frauen"

04.09.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Gleich gibt's auf die Fresse
Universal Pictures International Germany
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Atomic Blonde macht ordentlich Spaß, vor allem, weil Charlize Theron allen eine reinhaut. Aber genau hier, in der ewigen Repetition, merkt man doch, wie mühsam und leer das Klischee der "starken Frau" doch eigentlich ist. Ich will mehr.

Wir befinden uns gerade in einem neuen Zyklus* mit weiblichen Figuren im Kino, die man gemeinhin als "starke Frauen" bezeichnet. Gemeint sind damit vor allem Action Girls , eine klassische Film- und Fernsehfigur, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zwar weiblich ist, aber dafür stark, mutig und vor allem körperlich dominierend. Soll heißen, sie tritt anderen, vor allem Männern, gehörig und erfolgreich in den Arsch. Die neuste "starke Frau" ist mit Charlize Theron gerade in Atomic Blonde zu Gange. Red Sparrow mit Jennifer Lawrence und Proud Mary mit Taraji P. Henson sind schon auf dem Weg.

Atomic Blonde - Clip Chapter 1: Father Figure (English) HD
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Es macht mächtig Spaß, Charlize Theron zuzuschauen, wie sie in Atomic Blonde alle kurz und klein haut. Und dies eben nicht tut wie ein James Bond oder ein John Wick, zwei Figuren, nach denen sie hier eindeutig gezeichnet ist. Nein, der Kampfstil, der hier gezeigt wird, ist eindeutig einer, der realistisch mit Größe und Kraft einer Figur arbeitet, und das ist wahnsinnig selten so. Theron haut den Cops nicht einfach eine rein, sie kann sich aus Würgegriffen nicht einfach befreien. Sie muss klüger agieren. Jede Kampfszene zeigt sie in Interaktion mit ihrer Umgebung, sie nutzt, was im Raum ist, was ihre Angreifer auf Distanz hält und mehr Bums hat als ihre Faust allein. Und wenn sie fertig ist, blutet sie und ist grün und blau. Das Gegenteil eben vom fast unangreifbaren, perfekten Kämpfertypen à la Tom Cruise und Co. Und doch, als ich so im Kino saß, schlich sich ein komisches, ambivalentes Gefühl bei mir ein.

Ich liebe weibliche Filmfiguren, die stark und resilient sind, die sich wehren können und die Prinzipien haben. Aber diese "starken Frauenfiguren" haben einen ganz bösen Beigeschmack, der sich mehr und mehr abzeichnet. Allein die Idee und Bezeichnung solcher Figuren als "starke Frau" zeigt schon das Grundproblem. Man würde nie eine männliche Figur, vor allem nicht im Action- und Genrekino, als "starken Mann" bezeichnen. Das "stark" ist in "Mann" schon implizit vorhanden. Das muss nicht hervorgehoben werden, denn es ist immer schon da. Teil des Problemes der "starken Frau" ist, dass die Herausstellung des Adjektivs "stark" eben schon eindeutig kommuniziert: Achtung, hier kommt eine weibliche Anomalie! Hier kommt nicht einfach eine Frau, sondern eine "starke Frau"! Denn normale Frauen sind schwach. Aber diese hier, die ist stark! Die haut Leuten in die Fresse.

Atomic Blonde - Clip Major Tom (English) HD
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Und diese Stärke ist in den allermeisten Fälle eine sehr eindimensionale Sache. Denn sie bezieht sich fast immer auf physische Dominanz und Gewalt. Diese starken Frauen sind gewalttätige Frauen, deren Verhalten eigentlich als Missbrauch deklariert werden muss. Sie tun Dinge, mit denen männliche Charaktere nicht ungescholten davonkämen. Dies zeigt aber eines deutlich: wie wenig Macht sie eigentlich haben, denn sie befinden sich immer in der Defensive. Sie müssen sich immer retten oder sich beweisen. Diese Frauen sind oft in ausweglosen Situationen, denn sie starten ihr Dasein immer innerhalb einer filmischen Welt, die ein absolutes Defizit an Respekt für sie aufweist. Die "starken Frauen" agieren in einer von vornherein sexistischen Filmwelt, in denen sie sich von ganz unten heraufarbeiten müssen, und dies können sie nur mit Gewalt tun.

Denn "starke Frauenfiguren" haben nur dieses Attribut. Ein Attribut, das eine Nachahmung einer bestimmten Art von Männlichkeit ist, und das auf die oberflächlichste Art und Weise: Kann sie andere Männer körperlich dominieren? Diese Reduktion ist für alle, Frauen- und Männerfiguren, unglaublich unbefriedigend, und macht dabei vor allem eins: Sie nimmt den Figuren jegliche Tiefe und Komplexität.

Was wissen wir sonst noch über Charlize Therons Figur in Atomic Blonde? Fast nichts. Sie hat kaum andere Eigenschaften. Außer einer, ihrer Bisexualität, eine Idee, die als neues Nebenprodukt ganz gern eingesetzt wird. Doch ansonsten sind "starke Frauen" stets allein und isoliert. Sie haben keine große Auswahl an weiblichen Nebenfiguren mit vielen verschiedenen Eigenschaften um sich. Genau das macht ihre eigene Eigenschaftslosigkeit häufig so offensichtlich. James Bond ist nicht nur eine perfekt ausgebildete Killermaschine. Er hat mehr Eigenschaften. Er ist leidenschaftlich, er hat Traumata, er ist manchmal ein verspieltes Kind, er ist psychopathisch ... Und er ist umgeben von zahllosen anderen männlichen Figuren unterschiedlichster Art, an denen er seine Facetten zeigen und abarbeiten kann. Therons Lorraine Broughton ist ... blond, sie kann gut kämpfen, sie hat Geheimnisse. Und es gibt eine weitere Frau in ihrem Universum, deren Eigenschaften sich mit brünett, süß und für den Spionage-Dienst ungeeignet zusammenfassen lassen.

Genau deswegen fragte ich mich in Atomic Blonde irgendwann, wie ich eigentlich auf Charlize Therons Figur reagieren soll? Denn so unterhaltsam es ist, sie ist völlig austauschbar, sie könnte sofort durch einen Mann ersetzt werden, und außer ihren anders gelagerten Kampf-Skills ist nichts an ihr, was mich in meiner Weiblichkeit ansprechen würde, oder was in irgendeiner Art und Weise relevant sein könnte, um mich mit ihr zu identifizieren oder auf ihrer Seite zu sein.

Ja, sie ist eine "starke Frau", aber das reicht überhaupt nicht. Vielmehr scheint mir diese Fahrtrichtung eher eine Technik zu sein, um zu vermeiden, wirklich starke (nicht im physischen Sinne, sondern im Sinne eines Drehbuchs) Frauen auf die Leinwand zu bringen. Ich habe keine Ahnung, wo das Problem liegt, oder wieso es so schwierig ist, weibliche Figuren voller Ambivalenzen und Komplexitäten zu schreiben und ins Kino zu bringen. Aber die "starken Frauen" sind hier nur ein Ablenkungsmanöver und ein paar Häppchen, die einem hingeworfen werden, und die wir, und da schließe ich mich mit ein, manchmal hungrig und dankbar auffressen, weil wir so unendlich ausgehungert sind auf unserer langen, langen Suche nach guter weiblicher Repräsentation im Kino.

*Zyklus deshalb weil diese Art von Trope immer wieder im Kino auftaucht. Es gab sie in den 1940er Jahren, in den 1970er Jahren, den 1990er Jahren und jetzt wieder. Ob eine Kausalkette zu Wellen der Frauenbewegungen besteht, ist wahrscheinlich, aber ungeprüft.

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