Amoklauf: Ein schwieriges Filmthema

13.03.2009 - 10:45 Uhr
Dear Wendy von Thomas Vinterberg
Neue Visionen
Dear Wendy von Thomas Vinterberg
2
0
Das Kino ist weiter als die Politiker: Einfache Schuldzuweisungen gibt es nicht.

Wir werden wohl nie wissen, warum der 17-jährige Tim K. im schwäbischen Winnenden das Blutbad angerichtet hat, oder der 22-jährige Berufsschüler Matti Juhani Saari in der westfinnischen Kleinstadt Kauhajoki, oder der 18 Jahre alte Schüler Pekka-Eric Auvinen in Tuusula, nördlich von Helsinki. Eine einfache Erklärung für derartige Amokläufe gibt es nicht und so schließen sich auch alle vorschnellen Schuldzuweisungen aus.

Das Kino hat das schon lange erkannt und ist in seinen besseren Werken überaus vorsichtig bei einfachen, kausalen Begründungsmustern für derartige Verbrechen. Vor einer Woche ist der kleine deutsche Film Sieben Tage Sonntag in die Kinos gekommen, dessen Thema jetzt überaus aktuell ist. Aus purer Langeweile bringen zwei 16-jährige Jugendliche einen Menschen um. Der Film liefert keine Antworten, schreibt Felix Frieler auf critic.de. “Aus Sicht der Täter versucht er einen Mord zu verstehen, den sich niemand erklären kann. Er stößt dabei an die Grenzen aller Rationalität, versteigt sich aber nicht in einseitige Schuldzuweisungen an Eltern, Behörden oder die Gesellschaft im Allgemeinen. Dass er die Gründe für die Tat, nach denen er sucht, eigentlich nicht findet, ist keine Schwäche des Films, sondern macht gerade seine Qualität aus.”

Oder das High School-Drama Elephant von Gus van Sant, das 2003 wegen seiner radikalen Sichtweise in Cannes die Goldene Palme gewann. Die Handlung spielt an einem ganz normalen Tag an einer fiktiven Schule in Portland, Oregon. Während des Films werden Schüler vorgestellt, bis sich herauskristallisiert, dass zwei von ihnen für eben diesen Tag ein “High-School-Shooting” geplant haben. Hier wird nicht nach Erklärungsmuster gesucht, um es dem Zuschauer einfach zu machen. Hanns-Georg Rodek in der Welt würdigt den “Verdienst Gus Van Sants, der 100 Jahre Kinodramaturgie ausgeblendet und einen bewusst antidramaturgischen Film gedreht hat. Er spitzt nicht zu, sondern protokolliert. Er inszeniert nicht zum Höhepunkt hin, sondern lässt die arglose letzte Stunde vor dem Massaker (fast) in Realzeit ablaufen, in all ihrer Alltäglichkeit und Banalität”. Der Film liefert keine Erklärungsversuche, denn “keine Antwort ist die ehrlichste Antwort”.

Auch Dear Wendy des Dänen Thomas Vinterberg zeigt, wie sich Jugendliche abschotten und in ihrer eigenen Welt leben. Und dann passieren Dinge, die sie in ihren Auswirkungen nicht mehr überschauen können. Der Film erfüllte für Barbara Schweizerhof im Freitag zwar nicht alle Erwartungen. Wer ihn als "Satire auf den amerikanischen Waffenfetischismus sieht, ist wahrscheinlich schnell genervt von der Überdeutlichkeit der Parabel. Wer sich jedoch bei den Amerika-Klischees nicht aufhalten will, wird einen Film entdecken, der trotz Parabelhaftigkeit keine fertigen Antworten bietet und über das Strickmuster der “Gewaltspirale” hinausweist."

71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls von Michael Haneke blickt auf Weihnachten 1993. Ein 19-jähriger Student erschießt in einer Bankfiliale in Wien bei einem Amoklauf drei Menschen und danach sich selbst. “Die klug kalkulierte dramaturgische Verklammerung eines Masssenmordes ohne hinlängliches (und damit letzlich besänftigendes) Motiv birgt für den Zuschauer ein Höchstmaß an unaufgelöster Irritation und Interaktion.”, schrieb der Kritiker Roland Rust im film-dienst.

Das Kino erspart uns in diesen vier Fällen einfache psychologische Erklärungsmuster, die uns beruhigen. Das ist die Stärke dieser Filme: Unsere Sicherheit lässt sich durch Erklärung und Schuldfindung nicht kaufen. Letztlich gehen wir verunsichert, aber auch gestärkt aus dem Kino!

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News