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Als ein Arzt mit Menschen Tetris spielte

01.03.2015 - 11:45 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Der Doc schaut in die Seele seiner Opfer
Nero-Film AG
Der Doc schaut in die Seele seiner Opfer
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Heutzutage zeigt Francis Underwood was es heißt, andere Menschen zu manipulieren, auszuspielen, anzulügen, zu missbrauchen, undundund. Aber wie sah das vor 90 Jahren aus? Da gab es einen deutschen Regisseur namens Fritz Lang, der einen Charakter benutzte und mithilfe dessen etwas unfassbar Beeindruckendes schafft: Er inszeniert gesellschaftskritische Filme und das im ganz großen Stil. Die ersten zwei Teile beschäftigen sich dabei mit der Weimarer Republik. Neun Jahre später, im Morgen der Machtübergabe an Adolf Hitler nutzt Fritz Lang erneut diese berühmt gewordene Filmfigur und kommentiert die Nationalsozialisten und die Welt um sie herum. Der Name dieser Filmfigur ist DR. MABUSE.

DR. MABUSE: DER SPIELER - EIN BILD UNSERER ZEIT

Dr. Mabuse lernen wir im ersten Part des Zweiteilers DR. MABUSE aus dem Jahre 1922 kennen. Der Untertitel lautet Der Spieler - Ein Bilder unserer Zeit. Und tatsächlich lässt sich dieser Titel auf mehrere Art und Weisen verstehen. Dr. Mabuse ist Arzt (o_O) und Psychoanalytiker und nutzt sein Wissen, seine Talente und sein Können dazu, andere Menschen mental zu manipulieren. Er manipuliert andere Menschen während sie gegen ihn Poker spielen. Er hypnotisiert sie und verleitet sie so dazu unmögliche Summen zu setzen und dann aufzugeben. Um nicht erkannt zu werden, verkleidet er sich. Falsche Haare, falscher Bart, Kostüme, die als solche nicht zu erkennen sind. Wir haben es also mit einem Doktor zu tun, der um Geld spielt, der sich stets verkleidet, fremde Identitäten annimmt und so als Schauspieler bezeichnet werden darf und nicht zuletzt einen Mann, der andere Menschen benutzt, quasi mit ihnen spielt, als wären sie seine Marionetten. Für Mabuse gibt es nur zwei Arten von Menschen: Die, die ihm von Nutzen sind.

Am I really nothing more to you than an instrument?

So passiert es relativ zeitig, dass Mabuse seine Pläne in die Tat umsetzen und die Börse manipulieren kann, sodass er zunächst einen unfassbaren Börsensturz bewirkt, viele Aktien aufkauft und den Grund des Sturzes schnell wieder auftauchen lässt, sodass der Wert seiner Aktien ins Unermessliche steigert. Und schwups, verkauft der Doktor seine Anteile und macht einen zehnfachen Gewinn. So einfach hebelt er Wirtschaft, Recht und Gesetz aus den Angeln und das Schlimmste: Er kommt damit davon. Am Ende der Sequenz zeigt Lang die leere Börse und blendet Mabuses Kopf ein. Nur seinen Kopf. Er ist nicht nur ein Verbrecher und Doktor. Er ist nicht nur ein Mensch. Er ist ein Allmächtiger, ein Gott. Der alles sieht, alles bestimmt, alles machen kann und nichts begründen muss. Ein Allmächtiger, und als diesen inszeniert Lang ihn auch. Manchmal wirkt es so, als würde der Doktor die Vierte Wand durchbrechen und den Zuschauer direkt anstarren. Rudolf Klein-Rogge macht das so gut, dass ich in meinem Sitz hin- und herrutsche, wenn er mich anblickt. Ich fühle mich wehrlos, nackt. So, als hätte Mabuse die absolute Macht über mich.

He looked at me with his evil eyed. Like a devil!

Fritz Lang, der einer meiner liebsten Regisseure des deutschen Stummfilms ist (nur Murnau steht noch irgendwie höher in meiner Gunst… und seien wir mal ehrlich, viel mehr kenne ich auch noch nicht) nutzt wie gesagt diese Figur, um die Weimarer Republik zu kritisieren. Aber inwiefern? Nun, vielleicht am offensichtlichsten ist hier die Thematik der Macht. Hier gibt es eine Macht, die über allem steht, die sich alles erlaubt und das sogar nicht einmal geheim und schüchtern, sondern offensichtlich. Nur auf eine Art und Weise, dass dieses Offensichtliche als Normalzustand angesehen wird, als gegeben also, und so in Kauf genommen wird. Mabuse mag immer anders aussehen, seine dunkle, zerreissende und hinterlistige Macht jedoch bleibt die gleiche. Egal, hinter welchem Gewand er sich verstecken mag. Nach dem ersten Weltkrieg, der sogenannten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, kam also die Weimarer Republik. War sie die Lösung? War sie das pure Gute? Nö. Die damaligen Machthabenden schossen nämlich über das Ziel hinaus, sie gaben der Bevölkerung Freiheiten, mit denen sie gar nicht umgehen konnten und wollten. Mabuse schließlich, strebt die absolute Macht an und will mit seiner Bande, die sogar die Polizei beeinflussen kann und sich vor nichts und niemandem rechtfertigen muss, einen „Staat im Staate“ errichten. Auch diesen Begriff hört man im Geschichtsunterricht im Zusammenhang mit der Weimarer Republik. Und das schafft Mabuse auch nach guten zwei Stunden, wenn der erste Teil endet und der Doktor unbesiegbar zu sein scheint.

Es gibt keine Liebe, nur Verlangen. Es gibt kein Glück, nur das Streben nach mehr Macht.

DR. MABUSE: INFERNO, EIN SPIEL VON MENSCHEN UNSERER ZEIT

Nachdem Lang sich im ersten Teil der Gesellschaft und Politik der Weimarer Republik im großen Stil gewidmet hat, konzentriert er sich im zweiten Teil eher auf die Menschen an sich. Doktor Mabuse isoliert einen „Patienten“ und gibt ihm eine Aufgabe. Nämlich jene, mit niemand anderem Kontakt zu haben, abgesehen vom Doktor persönlich. Diese Isolation und körperliche wie psychische Übermachtsstellung, die Mabuse nun genießt, macht eventuell am deutlichsten, dass und wie er mit anderen Menschen spielt. Sie gewissenlos ausnutzt und sich gefügig macht. Die Würde des Menschen war schließlich erst gute 20 Jahre später unantastbar. Wie sehr dieses Leben für ihn aber nach hinten losgeht, wird gezeigt, als Mabuse tatsächlich eine Frau findet und sich in sie verliebt. Nein, „verliebt“ ist nicht der richtige Begriff. Er ist zu ihr hingezogen, weiß aber nicht, wie er damit umgehen soll. Er ist nicht im Stande, seine Gefühle wahrlich zu verstehen oder mit ihnen umzugehen. Alles was er kennt, ist kaltes Kalkül, unpersönliche Manipulation. Und so versucht er, die Frau von sich zu überzeugen, indem er sie bedrängt, einsperrt und schließlich bedroht. Er ist wie ein hilfloses Kind, dass es nicht besser weiß und gar nicht verstehen kann, wieso seine Macht auf einmal nicht mehr wirkt. Und schließlich ist er es, mit dem gespielt wird, der unter seinen eigenen Taten leidet und der daran zu Grunde geht. Zu lange hat er mit dem Feuer gespielt, ohne zu wissen, dass es heiß ist, dass es schmerzen kann und sogar den Tod bringen könnte.

Alles heutzutage ist ein Zeitvertreib.

Ja, so wirkt es auch und auch in dieser Hinsicht kritisiert Lang die Weimarer Republik. Casinos und Freudenhäuser scheinen Haupthandlungsorte zu sein, wenn man nicht grad in grauen Gassen ist, Anarchie ist der Hauptbestandteil des Films. Es sind Freiheiten, die der Bevölkerung gegeben wurden. Diese jedoch wurden ins Unendliche gesteigert und gesteigert, sodass der moralische Verfall (und da zeigt sich der deutsche Stummfilm als Vorreiter des von mir verehrten Film Noir) omnipräsent und überall zu beobachten ist. Dazu gesellen sich Unterhaltungs- und Spielsucht. Es ist, als wären alle Menschen hyperaktiv und hätten ein Aufmerksamkeitsdefizit. Heller, tiefer, größer, dunkler, weiter, weiter, weiter, mehr, mehr, mehr. Die Menschen halten Macht nicht für eine (schreib nicht „Verantwortung“!) Verantwortung (…), sondern für eine Möglichkeit der Ausnutzung anderer. Noch oben klammern und nach unten treten. Und das erschreckendste ist daran, dass sich einiges davon bis heute nicht verändert hat. Die Werbung ist da nur ein Beispiel. Ganz ehrlich, schaut euch mal ein paar Spots an. Verachtung und Sexismus wird uns da so verkauft, dass wir es als Normalzustand, also als gegeben, ansehen. Sie mag immer anders aussehen, ihre zerreissende, hinterlistige Macht bleibt jedoch die gleiche. Wo hab ich das schon gehört?

DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE

Nach dem Zweiteiler über den Doktor beschäftigte Fritz Lang sich mit kleineren Werken wie zum Beispiel den NIBELUNGEN, METROPOLIS und natürlich M. Zwei Jahre nach letzterem, 1933, war die Veröffentlichung des Filmes DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE geplant. Goebbels zeigte sich beeindruckt vom Film, konnte ihm jedoch keine Freigabe gewähren, da er zu Verbrechen anleiten könnte. Und wie wir alle wissen, hatten die Nazis es lieber friedlich… Tatsächlich kann man diesen Film als weiteren Kommentar zum gesellschaftlichen und politischen Wandel der Zeit ansehen. Und sollte es auch, da Leute, die sich mit dem Film beschäftigen gerne aufzeigen, dass in diesem Film tatsächlich von den Bösewichtern Sätze gesagt werden, die von Hitler und Konsorten stammen. Na gut, ich möchte mich allerdings auf andere Aspekte beziehen.

Die Handlung allein muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dr. Mabuse sitzt nun, 10 Jahre nach dem Zweiteiler, in einem Gefängnis und schreibt ein Buch über Verbrechen. Über Verbrechen, die keinen logischen oder übernatürlichen Sinn haben, sondern nur dazu verübt werden sollen, um Angst zu verbreiten. Das macht schon verständlicher, wieso Goebbels den Film nicht erlauben konnte, da wird ja negativer Bezug auf den GröFaZ genommen! Das Große, was Lang hier jedoch bewerkstelligt ist, dass er nicht Hitler per se verteufelt und als einzigen Grund allen Übels vorführt und mit Hass überfällt. Nein, Lang verteufelt viel eher die Zeit und Gesellschaft, in der Hitler möglich gemacht wurde. In der Hitler als nötig empfunden wurde. Trotzdem kommt auch die „Politik“ der NSDAP ihre berechtigte Kritik. In diesem Film nämlich ist jeder, der zu viele Fragen stellt, jeder, der selbstständig denkt, der distanziert denkt in Lebensgefahr. Hass, Angst, Intoleranz und noch mehr Angst werden hier instrumentalisiert. Das geht so weit, bis Stimmen und Schattensilhouetten reichen, um Befehle auszuteilen. Die Menschen folgen blind. Wohin? Weiß man nicht. Warum? Weil er es gesagt hat. Wer? Der da.

Ja, auch die leichte Manipulierbarkeit der Bevölkerung kommt hier wieder zum Vorschein. Der hat gesagt, dass jener gesagt hätte, du sollst dasunddas machen. Und schon wird es erledigt. Man will ja schließlich nicht bestraft werden. Also lieber die eigene Persönlichkeit, das eigene Gewissen vergessen und folgen. Freiheit gab es nicht und wird es auch nicht geben, wenn das so weitergeht.

Ich bin ein Mensch, der gerne und viel redet, der gerne und viel liest und schreibt. Kommunikation ist für mich einer der Schlüsselpunkte eines harmonischen Lebens. Sprachen interessieren mich sehr. Das ist der Grund, weshalb ich Loriot so verehre, weil er mit der deutschen Sprache Kunststücke anstellt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Deshalb respektiere ich Charlie Chaplin derart fanatisch, weil er ohne Worte so viel mehr aussagen kann, als jeder Dialog. Ich könnte das nicht. Und deshalb schreibe ich so ehrfüchtig über Fritz Lang und seine Arbeit über Dr. Mabuse. Er nutzt eine Figur und schafft es gleichzeitig, ein, zwei, drei spannende Geschichten zu erzählen und als wäre es nichts, kommentiert er nebenbei die Zeit, Gesellschaft und das Land in der/ in dem er lebt. Das ist für mich Filmemachen auf größtem Niveau. Und eigentlich mehr als Puppentheater. Aber letzten Endes kommt es doch darauf zurück. Auf einen Menschen, der seine Macht missbraucht und anderen Menschen Schaden zufügt. Und damit die Welt zerstört.

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Hier gibt es die Texte meiner Partner in Crime:

Grimalkin: https://www.moviepilot.de/news/am-seidenen-lebensfaden-145366

chita91: https://www.moviepilot.de/news/lily-aldrin-evil-mastermind-wife-mother-friend-slap-bet-commissioner-145431

Absurda.: https://www.moviepilot.de/news/das-destruktive-spiel-unseres-puppenspielers-144867

999ghost: https://www.moviepilot.de/news/performative-elemente-in-dario-argentos-suspiria-144582

Martin Oberndorf: https://www.moviepilot.de/news/kommt-schon-es-ist-zeit-mit-spielen-zu-beginnen-143467

Mr.English: https://www.moviepilot.de/news/pinocchio-del-toros-virtuelles-meisterstuck-145379

Schlopsi: https://www.moviepilot.de/news/let-s-get-ready-to-rumbleeeeeee-das-puppentheater-des-world-wrestling-entertainments-145413

Alex023: https://www.moviepilot.de/news/ein-selbst-reflektiver-text-uber-figuren-und-menschen-145426

Donny Brandt: https://www.moviepilot.de/news/puppenspielen-oder-das-kontrollieren-von-menschen-145439

Das Thema für den 1. April lautet "Zukunftstechnologien".

Wer mitmachen möchte, der solle sich bei der bezaubernden chita91 oder dem genialen Grimalkin melden. Eure Texte dürfen auch gern fröhlicher sein als meiner. Und bunte Bilder haben.

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